Die lange Suche nach Kuno Rinker

Am 3.Februar 1943 gibt das Oberkommando im Rundfunk per Sondermeldung bekannt, dass alle Soldaten der 6.Armee in Stalingrad heldenhaft fürs Vaterland gestorben seien. Trotz der Kenntnisse um die Kesselsituation in Stalingrad trifft die Meldung die Angehörigen wie ein Schock und jeder hofft etwas über das Schicksal eines geliebten Menschen zu erfahren. 

Auch die Familie von Kuno Rinker beginnt sogleich mit ihren Nachforschungen und wendet sich an die damals zuständigen Behörden der Armee. Dazu zählt an erster Stelle das Wehrkreiskommando XII mit dem Arbeitsstab Stalingrad. Doch auch 6 Monate nach der Kapitulation Stalingrads liegen der Behörde keinerlei Informationen über die dortigen Soldaten vor. Die Angehörigen erhalten entsprechend lediglich eine Bestätigung, dass der gesuchte Soldat an den Kämpfen um Stalingrad beteiligt war und schnellstmöglich Nachforschungen eingeleitet werden.

Wehrkreiskommando XII Stalingrad Wehrkreiskommando XII Stalingrad
Schreiben des Wehrkreiskommando XII 1943

Nach Kriegsende versucht sich auch das Rote Kreuz in der Informationsbeschaffung und es existieren gleich mehrere Stellen, die nach Hinweisen zu den Vermissten suchen. Alle Anfragen an diesen Landesnachforschungsdienst mit der Abwicklungsstelle "Verband der Heimkehrer" bleiben aber ohne Erfolg. Eine Anfrage ans Bayrische Rote Kreuz wird lediglich auf der Rückseite des Briefes mit dem Vermerk "zurück" beantwortet und recht harsch abgewiesen.

Bayr. Rotes Kreuz Stalingrad Bayr. Rotes Kreuz Stalingrad Deutsches Rotes Kreuz Stalingrad
Schreiben von Stellen des Roten Kreuzes 1946

Eine weitere Anlaufstelle für schriftliche Nachforschungen sind die entsprechenden Behörden der Besatzungsmächte, sowie ausländische Sammelstellen mit Informarmationen über die Kriegsgefangenenlager. Die Familie von Kuno Rinker richtet noch zu Kriegszeiten 1944 zahlreiche Anfragen an den Türkischen Halbmond in Ankara, der sich ebenfalls um Stalingradkämpfer kümmert. Später folgen ab 1946 Suchanfragen auch ans Rote Kreuz in Moskau (Reg.Abt. V, UDSSR) und an die amerikanischen Besatzungsmacht mit dem "Headquarters PW Reception and Discharge Center" der US Army in Dachau. Dazu sind auch stets Übersetzungen in die entsprechende Sprache der Behörde notwendig, die natürlich von den Angehörigen selbst bezahlt werden müssen.

Headquarters PW
Schreiben der US Army Behörde

Ein ganzer Berg von Dokumenten hat sich mittlerweile angesammelt. So viele verschiedene Stellen gibt es - ein Brief an Oberst Mamenko, Leiter der Abteilung für Kriegsgefangene beim Amt der Etappe der Besatzungstruppe in Deutschland - das Amt für Erfassung der Kriegsopfer - die  Abwicklungstelle der ehemaligen Wehrmacht in Berlin und viele mehr. Der Hilfsdienst für Kriegsgefangene und Vermißte der württembergischen Evangelischen Landeskirche sammelt die Feldpostnummern der Vermissten und gibt den Angehörigen die Adresse von registrierten Heimkehrern aus russischer Kriegsgefangenschaft weiter damit diesen eine persönliche Kontaktaufnahme zu Personen mit gleicher Feldpostnummer ermöglicht wird. Der "Deutschen Liga für Menschenrechte" liegt ab 1950 ein Suchantrag für Kuno Rinker vor, der alljährlich eine neue negative Rückmeldung per Post zur Folge hat. Ganze Stapel dieser Postkarten existieren noch heute. Auch die Suche über den  "Deutschen Caritasverband E.V." bleibt 1956 erfolglos.

Die "Suchdienstzeitung", ein offizielles und gemeinnützigens Organ für die Verbeitung von Mitteilungen von Heimkehreraussagen über Vermisste und Gefangene bringt laufend Berichte über die Lage der Gefangenen, erteilt Ratschläge für die Suche und führt offizielle Namenslisten des Suchdienstes mit einer riesigen Kartei aus Vermisstenbildern. Auch hier ist Kuno Rinker erfasst.

1948 scheint die Verzweiflung bei der Suche besonders groß, denn Kunos Schwester Gudrun nimmt selbst die - natürlich nicht kostenlose - Hilfe eines "Pendelforschers" in Anspruch. Dieser verspricht eine baldige Rückkehr des Vermissten, der laut Pendel momentan gesund und munter ist. Die angegebenen "Richtlinien für den Auftraggeber" sind dabei besonders interessant zu lesen. Überhaupt scheint die Not der Angehörigen vielerorts ausgenutzt zu werden und trotz dem Ende 1946 erlassenen Gesetz Nr. 309 (siehe Galerie) gibt es keinen Mangel an zwielichtigen Suchdiensten. 

Pendelforschung Stalingrad
Pendelforschung für Vermisste?!

Es folgen viele private Briefe an Heimkehrer aus russischer Kriegsgefangenschaft, die aber auch keine genaue Auskunft über das Schicksal Kuno Rinkers geben können und lediglich ein paar tröstende Worte bieten.

Brief Stalingrad Brief Stalingrad 2
Heimkehrer-Antwortbriefe

Textlaut des obigen linken Briefes:

"Neresheim, 16.12.1947
Sehr geehrtes Fräulin Rinker!
Die Beobachtungsabteilung, der Ihr Herr Bruder angehörte, wurde Anfang Januar 43 aufgelöst. Die Angehörigen der Be.-Abteilungen wurden nach kurzer infanteristischer Ausbildung entweder zur Auffüllung der stark gelittenen Inf-Regimenter verwendet oder sie wurden zu Kampfgruppen zusammengeschlossen. Wenn ich mich recht erinnere, lag die BeAbt.36 FPn 25395 in der bewaldeten Schlucht am Westhang von Goroditsche und war im Dez.42 der 305. ID. (Bodenseedivision) unterstellt. Über das Schicksal ihres Herrn Bruders kann ich Ihnen leider keine Auskunft geben. Wenn Sie bis heute noch keine Nachricht von ihm haben, muß ich Ihnen leider gestehen, dass wenig Hoffnung besteht, dass er noch am Leben ist. Die Stalingradarmee war 22 Divisionen = etwas 330 000 Mann stark, von denen noch höchstens 3% am Leben sind. Was nicht im Kampf gefallen ist, ist auf den Märschen nach der Gefangennahme vor Erschöpfung zusammengebrochen und den weißen Tod gestorben oder ist später in den Lagern an Fleck- und Hungerstyphus infolge der unsagbaren Entbehrungen gestorben. Wenden Sie sich mal bitte an Herrn Kreisamtmann Simon. Herr Simon, der sich im Dezember diesen Jahres an mich wandte, hatte ebenfalls einen Sohn Paul bei derselben Abteilung (FPn 25395). Vielleicht hat Herr Simon inzwischen etwas Näheres über das Schicksal der Einheit Ihres Herrn Bruders erfahren können. Wünsche Ihnen zu Ihren weiteren Nachforschungen einen vollen Erfolg und grüße Sie bestens."

Im Jahr 1985 ringt sich seine Familie schließlich doch zu einer Todeserklärung für Kuno Rinker durch und als Todeszeitpunkt wird der 31.Dezember 1945 24 Uhr festgesetzt. Es liegen noch immer keine brauchbaren Informationen über sein Schicksal in Stalingrad vor.

Noch ein Jahr vor ihrem eigenen Tod, versucht die Schwester von Kuno Rinker Informationen über das Schicksal ihres Bruder zu finden. Jeder Zeitungsschnipsel und jede Sendung in Rundfunk oder Fernsehen wird in der Hoffnung auf neue Nachrichten überprüft. So erscheint 1992 folgender Zeitungsartikel, der sofort per Brief beantwortet wird. Aber auch hier gibt es keine Neuigkeiten...

Feldpost Stalingrad Artikel
Auch heute existieren noch Suchanträge beim Roten Kreuz und der Kriegsgräberfürsorge, die vielleicht doch eines Tages zu Antworten führen. Leider werden sie die Menschen, die es am meisten interessiert hätte nicht mehr erreichen.