Wieder ins Feld

Wie ein Gnadengeschenk empfand ich die 4 Monate in der Heimat. Nicht nur die Nerven hatten dadurch gewonnen, sondern auch der geistige Rundblick. Draußen an der Front war man über unsere Gesamtlage stets schlechter unterrichtet als in der Heimat. Das wird immer so sein, weil draußen die "allernächsten" Sorgen oft den ganzen Mann in Anspruch nehmen. Das Bild, das ich mir in 4 Monaten von unserer Gesamtlage machen konnte, war ungefähr folgendes: Deutschland hat sich ungeheuer angestrengt im Jahre 1916 den Gegner kräftig anzufassen. Dass die Stelle dafür bei Verdun gesucht wurde, hat wohl darin seinen Grund, weil der Fall dieser Festung auf die ganze Welt Eindruck gemacht hätte und der Franzose moralisch schwer gelitten hätte. Doch hat Moltke 1914 schon den Fehler gemacht, seine Reserven an den französischen Festungen zu opfern. Mir scheint als ob sein Nachfolger Falkenhayn diesen Fehler wiederholt habe. Fest steht auf jeden Fall: das strategische Ziel wurde im Westen nicht erreicht. Das Unternehmen brachte uns wohl 11 km Geländegewinn, aber dann artete es zur Zermürbungsschlacht aus. Die Hölle von Verdun verschlang wohl eine Viertelmillion Deutsche und fraß immer weiter.

Moltke und Falkenhayn
Moltke und Falkenhayn

Der Gegner hatte ebensoviele Verluste, aber er konnte sie leichter ertragen. Ganz deutlich ging das daraus hervor, dass er am 1.Juli 1916 seine beabsichtigte Offensive planmäßig durchführen konnte. Mit 37 Divisionen konnte er auf 11 deutsche Divisionen angreifen. Die größte Tiefe seines Geländegewinns betrug 15 km. Die Schlacht hatte den Charakter einer Materialschlacht. Hier war seine Überlegenheit aber noch bedeutend größer als bei den Truppen. Sie dürfte das Verhältnis 5:1 gehabt haben. Unsere Verluste waren noch höher als bei Verdun. - Und wie stand es im Osten? Wohl hatte Russland im Jahre 1915 über 3 Millionen Mann und viele tausend Geschütze verloren; und die Front lag weit ab von unserer Ostgrenze. Aber Russland brauchte nicht so haushälterisch mit seinen Mannschaften umzugehen wie wir. Dazu kam, dass die österr.-ungar. Truppen lange nicht das leisteten wie die Deutschen. Ein Glück für uns war, dass Russlands Industrie (und Verkehrsnetz) weit hinter der unseren zurückstand und die Türkei den Seeweg (die Dardanellen) für Materiallieferungen sperrte. Gleichwohl stieg auch auf dem östl. Kriegsschauplatz unsere Not im Jahre 1916 wie ein Gespenst auf. 

Deutsche Feldpost
deutsche Feldpost

Auch in der Heimat mehrten sich die Kriegsleiden. So viele, viele gingen in schwarzen Kleidern still und ernst ihren Weg. Ach, der unglückselige Krieg! Millionenfach hörte man diesen Seufzer. Man begegnete viel Pessimismus; mitunter scharfen Reden gegen den "Schwindel". Den meisten war zwar noch klar, dass wir das Recht auf unserer Seite hatten. Ob es aber auch in die Rechnung der Götter passte?? Jugendwehren waren geschaffen worden, wo die Jugend während des mobilen Zustandes militärische Vorbildung erhalten soll. Ab 1.2.15 wurden alle Vorräte an Weizen, Roggen und Mehl beschlagnahmt. Für die Regelung des Verbrauchs war eine Reichsgetreidestelle errichtet worden. Die Familien erhielten Brotkarten, bald auch Fleisch-, Zucker-, Kleider-, Fett- und andere Karten. Alles wurde rationiert. Dienstag war fett-, Freitag fleischlos. Den Geflügelhaltern war vorgeschrieben wie viel Eier sie abzuliefern hatten. Alle Schafwolle wurde beschlagnahmt. Alles Kupfergeschirr war abzuliefern; später auch die Kirchenglocken. Schulklassen mussten Alteisen, Eicheln, Bucheln, Laub, Brennesseln und dergl. sammeln. Papierschürzen wurden getragen. Schnüre, Sandsäcke und drgl. waren aus Papier. Im Winter herrschte Holz- und vor allem Kohleknappheit. Das Goldgeld wurde allmählich aus dem Verkehr gezogen. Schüler und Soldaten, die ein Goldstück brachten, wurden mit Urlaub belohnt. Viele lieferten ihre goldenen Eheringe ab und erhielten eiserne dafür. Wie die Pilze schossen die Verordnungen über alle möglichen Einschränkungen hervor. Lästige "Schnüffelkommissionen" überwachten die Durchführung derselben. Die Heimat hat diese Opfer im allgemeinen willig auf sich genommen; aber es fehlte ihr an Ausdauer. 

Ersatzmarken (zum Vergößern anklicken)
Ersatzmarken 1. Weltkrieg

Feldzeitungen entstanden, denn der Soldat draußen im Feld verlangte von einer Zeitung etwas anderes als der Leser in der Heimat. In den Argonnen erhielten wir die "Feldzeitung der 5.Armee". Ich konnte ihr nicht viel Geschmack abgewinnen. Im Lauf der Zeit gab jede Armee eine Feldzeitung heraus. Die Armeezeitungen scheinen vielfach ihren Zweck nicht ganz zu erfüllen. Deshalb entstanden rasch nacheinander neben diesen "amtlichen" auch "private" Feldzeitungen (herausgegeben von einzelnen Armeekorps, Divisionen, Regimentern, Bataillonen, ja sogar Kompagnien; einzelnen Frontabschnitten oder allgemein fürs Feldheer.). Diese letzteren wurden vom Soldaten bevorzugt. Schon der Titel hatte mehr Anziehungskraft: Der Drahtverhau, die Sappe, Grabenbote, der Landsturm, die Vogesenwacht, der Minenwerfer, der Patrouillengänger, Meldereiter im Sundgau, der Stabstrompeter, die Liller Kriegszeitung (die weitaus bekannteste) und dergl. mehr.

Beispiele der Feldzeitungen (zum Vergößern anklicken)
Feldzeitungen

Der Ausmarsch

Solange in Ulm der Feldersatz zusammengestellt wurde und sich marschbereit machte, genoss ich das große Vorrecht bzw. Sonderecht des Offiziers: Ich fuhr in Urlaub nach Ötlingen. Meine Papiere ließ ich mir dorthin nachschicken. Dorthin ließ ich mir auch telefonisch melden, wann und in welche Richtung der Transportzug abfuhr. Die Marschorder für mich lautete zur 183. Infanterie-Division. Sie war mir völlig unbekannt. Am 26.10.1916 fuhr ich nach Untertürkheim, wo kurz vor 10 Uhr abends der Transportzug einlief. Zwei Leutnants (Roller und Hartmann) konnten mir nun über die. 183.I.D. Bescheid geben. Sie waren schon beim Reserve-Inf. Rgt. 122, wohin wir kommen sollten: Das Rgt sei schon zweimal an der Somme gewesen, habe furchtbare Verluste gehabt, die 4.Komp. sei vollständig in Gefangenschaft geraten. 

Am 30.10.16 wurde das Rgt besichtigt durch den Führer der Armee-Abteilung A General d`Elsa. Eine solche Besichtigung bedeutete erfahrungsgemäß den baldigen Einsatz an der Front. Derselbe erfolgte auch bereits am 1.11.1916. [...] Die nördlichen Ausläufer der Vogesen sind also nun unser Wohn- und Betätigungsfeld. Südöstlich Angomont beziehen wir das Lager "Grenadierhöhe". Unter prächtigen Weißtannen wurde es romantisch angelegt. Wenn überhaupt etwas daran auszusetzen war, so war es die Nähe des Rgts-Stabs-Quartiers. Und auch die hätte nichts ausgemacht, wenn der Rgts-Kommandeur "bessere Umgangsformen" an sich gehabt hätte. Nicht nur der "Mann", auch der Offizier ging ihm aus dem Wege. Der Bataillonskommandeur sagte: Nur wo Granaten schwirren sind wir vor ihm sicher. 

Westlicher Kriegsschauplatz: zerstörte Kirche in Angomont
Angomont

Am 8.11.16 schossen sich unsere Minenwerfer (MW) ein. Dabei zeigte sich, dass der Gegner sehr empfindlich war. Lt.d.Landwehr Glock kam sehr aufgeregt zu mir und berichtete, dass er eben 2 Tote gehabt habe (Telephoner) neben seinem Unterstand. Ich trank mit ihm ein Glas Wein und begleitete ihn dann in seinen Abschnitt. Dann ging er mit mir in meinen Abschnitt, der ohne Schaden davonkam. Am Abend lud ich ihn zu mir ein und holte ihn dann ab, nachdem ich meine Posten nachgesehen und für die Nacht die nötigen Anordnungen getroffen hatte. Als wir uns eben vor dem Unterstand verabschieden wollten, setzte der Gegner wieder mit Artl.- und Minenfeuer ein. Diesmal war es mehr auf meinem Abschnitt. Als wir vorgingen, splitterte es ordentlich um uns. Der Gegner schoss aber das meiste zwischen die beiden Stellungen. Meine Posten standen ruhig da, obwohl ein paar Treffer im Graben saßen. Wir besserten sofort aus nach unserem Muster. Am andern Morgen ging der Btls-Kommandeur durch die Stellung. Er staunte über die Sauberkeit meines Abschnitts und sprach mir seine Anerkennung aus. Dann zeigte ich ihm die Stellen, die Treffer erhielten. Über die Art unserer Ausbesserung meinte er: Da sieht man den Fachmann. Er meinte da wohl aber nicht mich, sondern die Leute, die an brenzlichen Abschnitten gelernt hatten einen Graben auszubauen. 

Ins Artois

Das Jahr 1916 trat eben in seinen letzten Monat ein, als wir uns in Nordfrankreich häuslich niederließen. Die Gegend wird als "Artois" bezeichnet. Das Artois schließt sich südlich an die Landschaft Flanderns an. Hauptstadt der Landschaft Artois ist die Festung Arras an der Skarpe. Die Stadt mit etwa 25 000 Einwohnern ist die Geburtsstadt des aus der franz. Revolution bekannten blutrünstigen Robespierre. Etwas größer war die Stadt Lens. In der Gegend wurden viele Zuckerrüben angebaut. Deshalb standen viele Zuckerfabriken im Artois; die bekannteste die von Sonchez. Lens hatte außerdem Maschinenfabriken und Steinkohlezechen, Arras einen bedeutenden Getreide-und Ölhandel, Brauereien und Spitzenfabrikation. - Das Artois war oft der Schauplatz heftiger Kämpfe. In der Begegnungsschlacht (13.10.14) erreichte hier die 6.Armee den La Bassel-Kanal, die Lorettohöhe (mit der Wallfahrtskirche Notre Dame de Lorette) und die Vimyhöhe. Im Frühjahr 1915 versuchten die Franzosen bei der Lorettohöhe mit 12. A.K.s den Durchbruch. Im Herbst 15 wiederholten sie den Versuch mit 75 Divisionen und 5080 Geschützen, beidemal ohne Erfolg. Im Frühjahr 1917 wurde hier unsere Kampflinie eingedrückt, im Okt. 1918 wurde sie durch Tanks schlichtweg überrannt.

Blick auf die Trümmer der Stadt Lens
Stadt Lens

Die Reise selbst hielt uns alle in Spannung. Wie immer, wurden auch diesmal die verschiedensten Vermutungen laut. Die meisten hofften, nach Osten zu kommen, wo gerade der rumänische Feldzug im Gange war. Der Zug setzte sich in anderer Richtung in Bewegung. Als er in Bertschelmingen etwas schärfer nach Westen abbog, wussten wir, dass uns die Westfront nicht losließ. Ende Okt.1916 setzte bei Verdun die franz. Gegenoffensive ein. Waren wir dort gebraucht? Trotz der Dunkelheit blieben die Leute meist wach. Man atmete erleichtert auf, als der Zug Metz in nördlicher Richtung verließ. Verdun brauchte uns also nicht. Grenzschutz gegen Holland oder Küstenschutz in Belgien war die nächste Vermutung. Zunächst ging es nach Diedenhofen! Die Erinnerungen an den Aug.1914 wurden wach. Doch nur gar zu bald zerflatterte der Traum, denn ehe man es dachte, bog der Zug abermals scharf nach Westen ab. Es ging über Fentsch nach Audun le Roman. Hier tauchte vorübergehend das Gespenst Verdun wieder auf. 

Auf dem Weg nach Hirson fing das Rätselraten von neuem an. Soissons wurde im Heeresbericht oft als Brennpunkt heißer Gefechte genannt. Wir kannten diesen Frontabschnitt aber noch nicht; sollten wir ihn jetzt kennen lernen? [...] An einen Einsatz an der Somme dachte niemand. Der Schrecken davor war bei den paar Leuten, die dort übrig geblieben waren, so groß, dass sich jeder schon vor dem Drandenken hütete. Außerdem war die Ansicht allgemein: das Rgt war schon zweimal dort; also kam ein Einsatz an der Somme nicht mehr in Frage. Plötzlich wusste einer, als der Zug in Aulnoye ungewöhnlich lange hielt und auch bei der Bahnhofkommandantur über die Weiterleitung zunächst nichts bekannt war: die 54. Res.Div. ist erst einmal an der Somme gewesen. Wie eine Bombe wirkte das. Verflucht, dass wir gerade zu dieser Division kommen! [...] Gleich beim Ausladen erfuhren wir, dass wir nur zu Schanzarbeiten hierherkamen. Hätten wir das schon in Saarburg gewusst, es wäre eine herrliche Fahrt entlang fast der ganzen Nordfront gewesen. Aber eine frohe Botschaft kommt ja nie unliebsam. Schipp, schipp, Hurra! 

Im Kasino in Fouquières (zum Vergößern anklicken). Stehend von links nach rechts: Ich, Lt.d.L.Hermann (6.Komp.), Ass.Arzt Dr.Krauß, Lt.d.L.Glock - Führer der 7.Komp., Lt.d.L.Kaim, 8.Komp., Lt.d.R.Oberle 2.MG-Komp. - sitzend von links nach rechts: Lt.d.R.Schramm - Führer der 8.Komp., Lt.Lederer-Führer der 2.MG.Komp.- Major Scharwächter, Kommandeur des II.Btls.- Lt.d.R.Vöchting-Führer der 5.Komp.- Lt.d.R. Druffner, 8.Komp.
Im Kasino in Fouquières

Sehr einfach ist das Kasinoleben. Nur zweimal kam eine Ausnahme: Am 6.12.1916 abends 9 Uhr läuteten die Glocken und verkünden dadurch den Fall der rumänischen Hauptstadt - und am 12.12.1916. Um 5 Uhr stand das Bat. auf einem Anger vor der Stadt versammelt, um das Friedensangebot des Kaisers, verlesen durch den Btls-Kommandeur, zu hören. Der Eindruck war nur augenblicklich groß. Schon andern Tags war bei vielen die Friedenshoffnung verblasst. Wir Offiziere hatten die Ansicht, dass das Friedensangebot eine unglückliche Form hatte - es begann mit den Worten: im Gefühle des Sieges. Auch die Zeit war wohl nicht geschickt gewählt: der Feind war sich seiner Überlegenheit an Menschen und besonders an Material bewusst geworden. Bei Verdun hatte unsere Kraft zum Durchstoß an die Maas nicht ausgereicht, ja der Gegner nahm uns die beiden eroberten Forts wieder weg. An der Somme aber hatte er Erfolge errungen, die große Hoffnungen in ihm erweckten. Zudem brachte ihm unser Bau rückwärtiger Stellungen klar zum Bewusstsein, dass wir nicht allzusehr offensiv eingestellt sein konnten. Trotzdem schwälte ja unter der Oberfläche eine leise Hoffnung weiter. 

Wolken und Nebel verwehrten den feindl. Spähern jeden Blick ins Hintergelände. So war gewöhnlich der Gegner zur Zeit unseres Anmarsches ruhig; seine Kanoniere wenigstens lagen wohl noch im Morgenschlummer. Gleichwohl kletterten wir mit affenartiger Geschwindigkeit über das Trümmerfeld. Das Tempo verlangsamte sich erst bei dem roten Estaminet draußen vor der Stadt. 20 Minuten ging es auf der Straße nach Arras fort. Zur Linken.hatten wir eine breite Ebene, die von sanften Höhenwellen abgelöst wurde. Zur Rechten schob sich eine stattliche Hügelkette etwas näher heran. Dorthin bogen wir ab. Eine Stunde Wegs war es noch bis zur Arbeitsstätte. Ein Pionierkommando wies uns die Arbeit an. Unverständlich dabei war uns eine solche Linien-Führung: Unten am Berg, hinter sich eine breite, völlig eingesehene Ebene. In dieser Linie konnte ein Großkampf, wie er doch im Artois üblich war, nicht geführt werden. Die Kampftruppe konnte hier nur unter der Parole fechten: Sieg oder Tod. Das Heranführen von Reserven schien uns ausgeschlossen. Ich hätte die Stellung auf den Höhen östlich der Straße Lens Arras angelegt (tatsächlich bildete sich dort später auch die Kampflinie - unsere Arbeit war somit teilweise entwertet). Dann wäre der Gegner vor uns auf dem "Präsentierteller" gesessen und hätte nichts zu lachen gehabt. Aber damals schätzte man 1 m franz. Erde noch höher ein als ein Regiment Soldaten. Und der Begriff Soldatenehre hatte bei manchem Kommandeur damals noch eine bizarre Form. Bittere Erfahrungen und schwere Opfer haben später und vielleicht zu spät solchen Begriffen einen gesünderen Sinn gegeben. Unsere Auffassung darüber kam nicht in die Waagschale. Wir taten eben, was uns befohlen war. 

Es blieb uns nichts anderes übrig, als uns hoffend an das Gerücht zu klammern: die 54. R.Div. kommt ins Elsaß. Diese Hoffnung wurde jäh zerstört als der Zug in Luxemburg nach Westen abbog. Wir kreuzten also unsere Vormarschstraße vom August 1914. In Longwy erfuhren wir, dass die Franzosen bei Verdun entschlossen und in großen Massen angriffen; es gehe heiß her und wir wurden dringend erwartet. In Arrancy wurden wir ausgeladen und in dem Drecknest eingepfercht. 3 Offiz. und 3 Burschen lagen wir in einer engen Stube, wo es uns gegen morgen entsetzlich fror. [...] Die Verdunfront rechnete man von Binarville bis nach Pont à Mousson. Wir standen somit vom Sept.1914 bis Ende 1915 am rechten Flügel dieser Front (in den Argonnen). Nun kam ich zum zweiten Male an die Verdunfront, diesmal jedoch östlich der Maas. 

Englische Kriegspropaganda (zum Vergößern anklicken)
Englische Kriegspropaganda

Wieder bei Verdun

Unser III.Btl hatte das III.Btl des Grenadierregiments Nr. 12 abgelöst. Auch das I.Btl war schon eingesetzt und wartete sehnlichst auf Ablösung durch uns. Diese wurde dann auch für den 28. Dez. befohlen. Mir stieß dabei das Missgeschick zu durch Husten und Mandelentzündung verhindert zu sein, die Komp. selbst hinauszuführen. Als der Regimentsarzt mich am 30. Dez. besuchte, meldete ich mich dienstbereit. Da warf er mir ein barsches "Nein" ins Gesicht. Da blieb mir nichts übrig als an die Front zu fliehen, denn es kam mich furchtbar hart an, in der Kompagnie zu fehlen. Es war auch das erstemal seit ich Offizier war. Die Flucht selbst wurde am Neujahrstag 1917 ausgeführt. Dichter Nebel liegt auf dem Gefilde, als ich mich morgens 4 Uhr auf den Beiwagen der Feldküche setzte. Nur einmal am Tag und zwar zu dieser frühen Morgenstunde konnte diese vorfahren. Bis Azannes ging alles gut. Die Fahrzeuge hielten. Ich begab mich solange auf den dortigen Riesenfriedhof. Ich nahm die Mütze ab und faltete die Hände zu einem stillen Gebet. Inzwischen waren die vorderen Fahrzeuge in großen Abständen abgefahren. Nun kamen die der vierten an die Reihe.

Das Tempo war merklich schärfer als vorher. Wir kamen an den ehemaligen Stellungen vorbei. Von hier aus angreifen, musste eine äußerst schwierige Aufgabe gewesen sein. Umso höher war das Heldentum der deutschen Angreifer. Bei Gremilly machte sich eben eine Haubitzbatterie schußbereit. Aus den Wäldern links brachen die Donner der Geschütze ebenfalls los. Ein furchtbares Neujahrsschießen hub an. Kurz vor Ornes gelangten wir in einen wahren Feuerorkan. An mehreren Stellen war die Straße aufgerissen. Mehr im Galopp als im Trab gingen unsere Fahrzeuge darüber weg. Ich hatte Mühe, mich auf dem Wagen zu halten. Plötzlich muss ich nach Luft ringen. Eine Granate fuhr knapp über den Wagen weg und krepierte 20 m hinter uns. Ein Splitter schlug neben mir auf den Wagen und zertrümmerte einige Fleischbüchsen. Die Pferde bäumen sich auf und rasten davon. Auf 2 Rädern steht er nur noch als wir ins Dorf selbst einbiegen. Einige Pioniere räumen vor uns die größten Trümmer von der Straße weg. Am Westausgang des Dorfes, im Schutze eines nur wenig beschädigten Hauses hält die Feldküche. Dort warten schon die Essenfasser. Mit ihnen gehe ich über ein entsetzliches Trümmerfeld der Stellung zu. Hunderttausende von Granattrichtern zeugen von den schweren Kämpfen.

Wache im Schützengraben: Einer für alle.....
Schützengrabenwache

Tote Pferde, zusammengeschossene Fahrzeuge, Geschütze, Gewehre, Seitengewehre, Stahlhelme und dergl. liegen am Weg. Nur sehr langsam kamen wir von Trichter zu Trichter vor. Durch den Regen ist der Boden schlammig und aufgeweicht. Kein Wunder, dass sich die Leute Sandsäcke um die Hosen gebunden hatten. Was ich aber als Stellung antraf, verdiente diesen Namen nicht. Es waren einzelne kleine Grabenstücke, etwa 1/2 m tief. Dazwischen lagen kleine Grüppchen in Granattrichtern, eine Zeltbahn über sich ausgespannt. Drahthindernisse fehlten. In Granattrichtern vor diesen Grabenstücken lagen die Sicherungsposten. Die Grabenstücke selbst lagen hinter dem nördlichen Rand der schmalen Vauxkreuzhöhe. Wir mussten deshalb rasch einen durchlaufenden Graben herstellen und dann bis auf die Höhe vorsappieren. Leider ging das nicht in gewünschter Raschheit, weil der Spaten zu bald auf Fels stieß. Dass die Höhe sehr schmal war (schätzungsweise 40 - 50 m) begünstigte unsere Lage. Wie wir uns an den Nordrand klammerten, so klammerten sich die Franzosen an den Südrand. Das schmale Band, das uns trennte, gestattete der feindl. Artl. nicht so leicht, uns auf Korn zu nehmen. 

Die Herstellung der Granaten (zum Vergößern anklicken)
Munitionsfertigung

Den Tag über gab es nur Brot und Büchsenfleisch. Erst am andern Morgen wurde wieder neue Verpflegung gefasst. Nach dem Frühstück begann auch mein Dienst. Der Terminkalender des Grabenschreibers zählte eine schreckliche Anzahl von Tagesmeldungen auf. Die meisten zählten auf Feststellung der feindl. Batterien ab und auf den Ausbau eines durchlaufenden Grabens. Diesen Meldungen waren vielfach Skizzen beizugeben. Die Unterlagen für solche waren sehr primitiv. So mußte ich also an meinem ersten Stellungstag wiederholt von einem Grabenstück zum andern kriechen mit Kompass und Meterstab. Fast der ganze Tag ging hin, bis ich eine brauchbare Skizze der eigenen Stellung beieinander hatte. Die feindl. Stellung entzog sich unsern Blicken fast ganz. Nur ab und zu lugte ein Erdhäufchen etwas fürwitzig über den Höhenrand herauf. Der Nebel gestattete auch ein Arbeiten bei Tag, jedoch nur an einzelnen Stellen des zweiten Grabens.

Von 4 Uhr nachmittags ab schickt sich alles zur absoluten Ruhe an, denn in der Nacht gibt es für niemand Schlaf. Die eine Hälfte liegt auf Posten, die andere Hälfte schanzt. Ich schreibe die Abendmeldung. Gern 50 mal geht die Kerze aus durch den Luftdruck krepierender Granaten. Sobald die Meldung aufs Papier gebracht ist, gehe ich hinaus. Draußen ist es mir leichter, weil der Schall keine Resonanz hat. Dafür hat man ein schauerlich schönes Schauspiel. Aus allen Winkeln zucken die Blitze der Geschütze. Hinter uns hört man die Befehle, die einer Batterie gegeben werden. Ungemein anstrengend ist jetzt der Dienst der Posten. Alle Stunde wird abgelöst. Um 10 Uhr ermäßigt das Feuer. Beim Gegner werden keine Angriffsabsichten erkannt. Die nächste Meldung ist fällig. Ich melde für meinen Abschnitt für die letzten 2 Stunden 500 Granaten leichteren und 150 Granaten schwereren Kalibers. Wenn ich fragen höre: warum geschehen jetzt keine Wunder mehr? so denke ich an diese 2 Stunden. Die Kompagnie hatte bei solcher Munitionsverschwendung des Gegners nicht einen einzigen Mann verloren. 

Eroberte französische Stellung mit Drahtverhauen im Walde von Consenvoye (zum Vergößern anklicken)
eroberter Schützengraben

Ununterbrochen schaue ich durchs Glas. Endlich entdecke ich zufällig einen feindl. Posten. Er hatte eine Zeltbahne über seine Schulter gehängt. Lange hielt ich ihn für einen Erdaufwurf, denn völlig unbeweglich stand er da. Plötzlich machte der "Erdaufwurf" eine Bewegung. Ich rufe einen Mann, zeige ihm den Gegner und fordere ihn auf: knalle ihn ab! Lange und ruhig zielt der Mann - der Schuß kracht - drüben tut's einen dumpfen Plumps. Um 10 Uhr muss ich zu einer Besprechung zum Btl. Dieses befürchtet einen feindl. Angriff. Aber den ganzen Tag strömt unaufhörlich starker Regen herab. Wer will da angreifen? 

Skizze der Front bei Fort Douaumont (zum Vergößern anklicken)
Skizze der Front bei Fort Douaumont

Ein besonders harter Tag war für mich der 14.1.1917. Es war um die Mittagszeit. Ich ging gerade ans Telephon um zu melden, dass die eigene Artillerie zu kurz schießt. Seit 10 Uhr schoss sich nämlich eine 10 cm Feldkanonen-Batterie und eine 15 cm Haubitzbatterie ein auf Sperrfeuer. 1 Schuß lag 5m rechts, einer 5m links von meinem Unterstand, einer ging als Volltreffer in den vorderen Graben, mehrere zwischen unserem 1. und 2. Graben, mehrere sogar noch hinter dem 2. Graben, davon eine 15 cm Granate gleich 150 bis 200 m. Ich war vielleicht 20 m vom Unterstand weg, da zertrümmerte eine 10 cm Granate den Eingang zum Unterstand. Darin waren gerade mein Bursche, meine 4 Gefechtsordonnanzen, Offz.-Stv. Schilpp und sein Bursche, also 7 .Personen. Sie alle kamen mit dem Schrecken davon, obwohl ein Handgranatendepot mit etwa 50 Handgranaten dabei in die Luft flog. Das Depot war unmittelbar am Eingang zum Unterstand. So waren also mit mir 8 Personen knapp dem Tod entgangen. 

Am 21.1.1917 um 1 Uhr in der Frühe ist die Komp. abgelöst. Schweigend und mühselig, doch so schnell als möglich schreiten wir die Feldbahn entlang durch die Mulde nach Gremilly. Von dort aus ritt ich abermals einsam durch die kalte klare Winternacht. Ich suchte das Rauchlager, das irgendwo im Wald rechts der Straße versteckt sein sollte. Lager reihte sich an Lager. Lange dauerte es, bis ich unser Ruhequartier ausfindig machte. Mein Unterstand war gut geheizt. Gegen 10 Uhr hatte ich den Rundgang durchs Lager und seine Umgebung beendet. Es war wie das HalberStädter Lager leicht gebaut. Die Unterstände waren geräumig und hell. Alle waren gut durchwärmt; Heizmaterial war genügend vorhanden. Die wichtigste Entdeckung aber war der Platz eines 42 cm - Mörsers. Leider verwehrten mir die Posten die Besichtigung der "Dicken Berta". Ich war alleiniger Machthaber im Ruhelager, da die 3 anderen Kompagnien und der Stab (sowie der Rgts-Stab) in Mangiennes untergebracht waren. Da meldete mir Lt. Woche telephonisch den Besuch des Herrn Major. Es reichte gerade noch, die Komp. "in Schwung" zu setzen. Er nahm zunächst Tee bei mir ein. Dann erfolgte der Rundgang durchs Lager. Die Komp. trat an. Ach, welch kleines Häuflein! Herr Major richtete Worte der Anerkennung an die Komp. Er brachte auch das Gerücht mit, dass wir wegkommen sollten. Ich meinerseits machte ihn auf den 42 er aufmerksam. Dafür war er mir sehr dankbar. Ihm gelang es (und in seiner Begleitung auch mir jetzt) das Riesengeschütz anzustaunen, das am l6. Dez.1916 zum letztenmal auf das Fort Douaumont schoss. Es hat seitdem (da es sonst sicher von den Franzosen entdeckt worden wäre) sein Feuer eingestellt. 

Ein deutsches 42cm Geschoss
deutsches 42cm Geschoss

Am 24.1.17 nachts 11.30 Uhr verließen wir das Lager. Das Rgt schied damit aus dem Verband der 54.Reserve-Division und sogleich aus dem Verband der 5. Armee (Deutscher Kronprinz). [...] Im Juni 1916 starb der 1.Generalstabschef im Kriege; Generaloberst von Moltke. Sein Weggang hinterließ keine Lücke. Schwerer wog der Tod des österr. Kaisers Franz Josef. Seine ehrwürdige Person hielt die in Österreich vorhandenen Stämme halbwegs zusammen. Sein Nachfolger, Kaiser Karl, bot diese Gewähr nicht. Er nahm gegen den gemeinsamen Feind nicht die richtige Stellung ein und war kein aufrichtiger Freund Deutschlands. Einen bösen Einfluss übte in dieser Hinsicht seine Gemahlin Zita, eine Bourbonin aus. (Sie lebt seit dem Tod ihres Gemahls in Brüssel). Das Jahr 1917 ließ gewaltige Kämpfe erwarten. [...] In dieselbe Gegend, die wir verließen, kam im Sept. und Okt.1918 auch die 27.I.D. und somit mein ehemaliges I.R.120. Wieder hatten dort Franzosen die Offensive ergriffen; diesmal im Verein mit den Amerikanern. Die Rgtr der 27.I.D. kämpften zunächst auseinandergerissen im Verband anderer Divisionen, so das Rgt 120 im Verband der 15. und 35. I.D. bei Haumont und Flabas. In Ruhe war es im Hessen-, Priester- und Jägerlager. Später kämpfte die Div. geschlossen bei Ornes. - Im Nov. kämpfte sie links der Maas. Ihr Rückzug über den Fluss erfolgte bei Stenay, also wenige km nördlich von der Übergangsstelle beim siegreichen Vormarsch 1914. Herbe Tragik!